„Darf ich’s mal ausprobieren?“, fragt Veronika vorsichtig. Sie umkreist den neuen Industrie-4.0-Arbeitsplatz in der Eustachius-Kugler-Werkstatt der Barmherzigen Brüder. Wie ein Schreibtisch sieht er aus: oben drauf ein Gestell, an dem blaue Schütten mit verschiedenen Materialien darin aufgehängt sind, daran blinkende Anzeigen, in der Tischplatte versenkt ein Bildschirm, daneben ein schwarzer Druckschalter.
Arbeitsplätze wie diesen findet man sonst nur in großen Produktionsunternehmen – meist aufwändiger mit implementierten Lasern, Schraubern, Kameras oder 3D-Brillen – die Software dahinter ist jedoch immer die Gleiche. Warum sollte ein System, das tausendfach bei BMW, Porsche oder anderen großen Unternehmen eingesetzt wird, nicht auch in den Werkstätten der Barmherzigen Brüder genutzt werden? Diese Frage stellte sich auch Gerhard Eichner, Produktmanager bei DE software & control in Dingolfing. „Unser DESC-Werkerassistenzsystem verringert nicht nur Fehlerquoten und erhöht die Variantenvielfalt, es überwindet Sprachbarrieren und lässt sich für jede Qualifikationsstufe anpassen, das eignet sich auch perfekt dazu, Handicaps zu überwinden“, war Eichner sicher. In Harald Auer, Werkstattleiter der Barmherzigen Brüder Straubing, und Abteilungsleiterin Elke Steubl, fand er Mitstreiter. „Dieses System ist die perfekte Unterstützung für die Beschäftigten. Durch die intuitive Steuerung des Arbeitsablaufs kann jeder der Werkstattgänger auch komplexe Aufgaben erledigen. Wir bauen hier eine Brücke zum ersten Arbeitsmarkt, wo ähnliche Systeme im Produktionsbereich zum Einsatz kommen. Und das Beste ist: Die Beschäftigten haben echt Spaß mit diesem Arbeitsplatz!“, sagt Elke Steubl.
Veronika stellt sich an den Tisch. „Schau, hier kannst du ihn höher oder tiefer stellen“, erklärt Gruppenleiter Hans Tanzer und zeigt auf zwei Pfeiltasten rechts unter der Tischplatte. Die Augen von Veronika weiten sich, als der Tisch elektrisch nach oben fährt, „wow“ formt sie mit ihren Lippen. „Was muss ich jetzt tun?“, fragt Veronika weiter. „Schau“, Tanzer zeigt auf den Bildschirm in der Tischplatte, „hier wird dir angezeigt, was zu tun ist.“ Als erstes muss ein Beutel aus einer der blauen Schütten entnommen werden. „Siehst du das blinkende Licht? Das zeigt dir, wo du ihn findest.“ Veronika schnappt sich den Beutel und klickt intuitiv mit Hilfe des Schalters auf dem Tisch in den nächsten Arbeitsschritt.
Auf dem Bildschirm erscheint ein Bild, darauf zu sehen sind vier Abstandshalter. Wieder blinkt eine der Anzeigen an den Schütten, daneben wird die Stückzahl angezeigt. „Mit dem zählen hab ich‘s nicht so“, meint Veronika. Doch das muss sie auch nicht. Stück für Stück nimmt sie aus der Schütte und legt sie auf eine der vier Abstandshalter, die auf einem Bild am Bildschirm angezeigt werden. Rein in den Beutel und weiter geht’s. Ein Licht nach dem anderen leuchtet grün auf, jedes Teil wird auf dem Bildschirm verglichen und abgezählt. Am Ende landen 22 verschiedene Artikel sicher im Beutel, insgesamt 71 einzelne Teile.
Kartons als Muster sind passé
Vorher musste der Gruppenleiter alle Teile aufwändig auf Kartons kleben. Sechs Schrauben, sechs Beilagscheiben, vier Abstandshalter – mehr als drei verschiedene Materialien je Karton und Angestellten waren undenkbar. Für 22 verschiedene Artikel mussten bisher fünf Mitarbeiter zusammenarbeiten. Jetzt schafft es ein einzelner.
Die Schlange am Arbeitstisch wird lang, jeder will mal ran. Also heißt es für Veronika heute: fertiggepackt. „Ich habe ganz alleine 22 verschiedene Artikel kommissioniert“, sagt sie stolz. Ohne den Arbeitstisch und die Software von DE software & control wäre das undenkbar. „Die Beschäftigten haben sofort verstanden, dass sie bei der Bestückung der Tüten nichts falsch machen können. Das gibt ihnen ein gutes Gefühl der Sicherheit und daraus entsteht Selbstvertrauen. Ein hochwertiger, moderner Arbeitsplatz ist auch im privaten Umfeld ein wichtiger Bestandteil des seelischen Wohlbefindens. Denn damit kann ich mir auch in der Familie und bei meinen Freunden und Bekannten Wertschätzung und Anerkennung holen. Das seelische Wohlbefinden durch all diese Komponenten ist eine enorme Weiterentwicklung für uns. Darauf sind wir stolz “, versichert Elke Steubl.
Noch ist es ein einzelner Platz in der Ecke der Werkstatt. Direkt daneben noch eine herkömmliche Packstraße. Doch Produktionsleiterin Elke Steubl wünscht sich schon bald noch mehr solcher Arbeitsplätze. „Diese Arbeitsplätze ermöglichen uns auch, neue Aufträge von Firmen anzunehmen und bieten moderne Beschäftigungsmöglichkeiten“, ist sie sicher. „Wenn mehr Unternehmen solche Industrie-4.0-Arbeitsplätze hätten, hätten ein paar unserer Mitarbeiter auch eher eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt.“